Essay der Kunsthistorikerin
Anke Zeisler.

In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen. Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum.

Herrmann Hesse

Anett Münnich probiert und kombiniert malerische, collageartige, zeichnerische und grafische Techniken, denen ein aus der Natur entnommenes Formenarsenal scheinbar zugrunde liegt. Tatsächlich aber sind es nicht Fotos oder Arbeiten vor der Natur, sondern Imaginationen, erinnert-erdachte und auf dem Bildgrund entwickelte Anmutungen einer Baumlandschaft, eines Dickichts oder eines Vogelblicks auf die Erde. Da kommen dann auch Überlagerungen, Farb- und Materialschichtungen ins Spiel. Manchmal auch das Licht wie in ihren Acryl-Blöcken sculptura sensibus. Wenn es wandert, bewegen sich mit ihm die Schatten der papiernen Lineaturen. Aus der Anmutung von Bewegung kann so eine tatsächliche werden.

Dabei streben diese Werke, alle und auf verschiedene Art, nach Loslösung von allseits bekannten Erscheinungen des Realen, ohne es ganz zu verwerfen. Anett Münnichs Bilder verwandeln Waldstücke in surreal verschachtelte Räume mit rätselhaften Farbeinschlägen. Sie gibt ihnen Titel wie Reigen oder Karneval der Bäume. In ihren Blättern filiert sie fantasievoll und organisch Verzweigungen und kartografische Linienverläufe bis hin zu farbigen Abstraktionen. Alle diese künstlerischen Entwicklungen kann man als subtile Rufe nach Freiheit deuten, dem ungezwungenen Nachgeben, dem Spiel, das dem Flüstern der Natur folgt und das jenes innere Gesetz, für das Hermann Hesse uns seine so treffenden Worte hinterließ, zur Erfüllung bringen will.

© 5. April 2018, Anke Zeisler

Die Vereinten Nationen erklärten 2006 in einer Resolution das Jahr 2011 zum Internationalen Jahr der Wälder

„ … in der Überzeugung, dass auf allen Ebenen… bewusstseinsbildende Maßnahmen durchgeführt werden sollen, um die nachhaltige Bewirtschaftung, die Erhaltung und die nachhaltige Entwicklung aller Arten von Wäldern zum Nutzen heutiger und künftiger Generationen zu stärken…“

Kurz vor dieser Initiative hatte sich Anett Münnich entschlossen, ihren lange gehegten Wunsch umzusetzen: Im Jahr 2005 begann sie freiberuflich als Malerin zu arbeiten. Es war besonders die Farbe; deren Faszinosum hatte sie motorisiert, sie wollte erkunden, probieren und immer wieder experimentieren. Da fand sie zunächst die Stadt(-Landschaft), Metropolen in ihrer ganzen Attraktivität: Architektur und urbanes Leben und vor allem deren farbig-atmosphärisches Oszillieren. Städte wie New York oder Paris oder die Farben Italiens als Anlass für bildnerisches Versuchen.

Aber dann war es damit genug. Sie schreibt: Stadtlandschaften habe ich bis 2012 gemalt. Danach fragte ich mich …was mich wirklich interessiert…mit dem Ergebnis, dass es mich an meine Wurzeln zurückgebracht hat, dem Leben in und mit der Natur.

Der Wald kam ihr in den Sinn; sie war ja aufgewachsen in einer waldreichen Gegend. Keine Landschaft ist ihr vertrauter und gleichzeitig – das wurde ihr immer mehr bewusst – für bildnerische Erforschungen interessanter als diese wandelnde Erdgesellschaft aus Bäumen, Sträuchern, Moosen, Kräutern, Gräsern, Pilzen und seinen „Bewohnern“, den Tieren. Da treffen sich formale Anregung und ethisches Anliegen: Wir sollen und müssen die Wälder stärker in unser Denken und Handeln einbeziehen. Und was – außer der Natur selbst – könnte uns da eindringlicher, inspirierender, verschiedenartiger, emotionaler und schöner erreichen als die Kunst, die sich diesem widmet? Über den Umweg ihrer Idee höchst filigraner Landkartenschnitte im Jahr 2016 entdeckte sie zudem Techniken des Zer- und Übereinanderlegens von Farbelementen und das bildnerische Mittel der Linie.